Different
In dem für ursprünglich 9 Tänzerinnen choreographierten Stück „Different“ enthüllt Olga Pona die Persönlichkeit jeder einzelnen Tänzerin. Die Arbeit in einer Company erfordert oft synchrone Bewegungen mit ähnlichen Körpern; eben gerade diese Eigenschaften werden als der wahre Wert gesehen -als Multiplikation eindimensionaler Schönheit.
In Wahrheit sind die Tänzer doch alle verschieden, jeder hat seine ganz eigene Geschichte zu erzählen. Die meisten Tänzer des Chelyabinsk CDT wachsen in Chelyabinsk auf, studieren und leben dort ihr ganzes Leben.
Einige dieser Tänzer sind Mitglieder der Company seit vielen Jahren und diejenigen Zuschauer, die Olga Ponas Arbeit gesehen haben, würden diese als starke und schöne Tänzer beschreiben.
Als Olga mit der Umsetzung der Idee zu diesem Stück begann, fragte Sie alle ihre 9 weiblichen Tänzer, was es für Sie bedeute, Tänzer zu sein. Sie antworteten, daß für jede von ihnen das Tanzen an sich und das Tanzen in der Company ihr Leben verändert hätte und keine könnte sich ein Leben ohne Tanz vorstellen. Tanz -nicht nur als eine Kunst sondern als eine Notwendigkeit.
Olga nahm sich der Geschichten an und schrieb zu jeder einen Text. „Different“ zeigt die Tänzererinnen mit all ihren fortgeschrittenen, physischen Fähigkeiten, aber gleichzeitig sagen sie uns, wer sie sind, sprechen über ihre Ängste, ihre Hoffnungen, aber vor allem darüber, was es bedeutet, Tänzerin zu sein.
Die gesprochenen russischen Texte während der Vorstellung werden übersetzt projiziert.
Olga Pona ergänzt noch dazu:
Tanz ist die Überführung vom Gegenständlichen ins Abstrakte. Tanz formte meinen Körper und Geist, genauso wie meine Sinneswahrnehmung, meine Motivationen und Handlungen. Was ist Tanz für mich? Suchen von sich selbst mit der Absicht, über sich hinauszuwachsen.
Dies sind Beispiele dafür, wie Gedanken der Tänzer durch die Vorstellung geleiten. Sie sind Türöffner zu einer Art Kreativlabor, und zeigen den Prozeß der Entstehung von Bewegungen vor Publikum und erzählen ihre eigene Geschichte davon, was es für jede von ihnen bedeutet, Tänzer zu sein.
Choreographie: Olga Pona in Zusammenarbeit mit den Tänzern
Tänzer: Elena Prishvitsyna, Tatiana Lumpova, Tatiana Sushchenko, Svetlana Lvova, Tatiana Kritskaia, Kristina Chernyshova, Maria Gerasimova, Svetlana Novikova
Musik / Soundcollage: Ryoji Ikeda, Hanan Townshend, Olafur Arnalds, Frank Bretschneider, Alexandre Desplat, Senking, Achinoam Nini, Federico Albanese (zusammengestellt und bearbeitet durch Olga Pona)
Text: Olga Pona, Nikolay Boldyrev (Übersetzung: Agnieszka Barczyk)
Lichtdesign: Aleksandr Skrypnik
Technischer Leiter: Artem Sushchenko
Kostüme: Tamara Kilmetova, Elena Sidorova
Bühne: Olga Pona
Dauer: 90 Minuten ohne Pause
Premiere: 12. September 2018 im philharmonischen Konzertsaal Chelyabinsk, Ural, Russland.
Encounters
Choreographie: Olga Pona
Tänzer: Vladislav Morosov, Maria Greyf, Andrei Zykov, Tatiana Lumpova, Artem Sushchenko, Tatiana Sushchenko, Dmitry Chegodar, Svetlana Lvova, Stepan Bannov, Dennis Chernyshov, Tatiana Kritskaia, Vladimir Vdovenko, Kristina Leonova, Maria Abramova
Musik: A.Part, R.Ikeda, E.Lolasvilli, Alva Noto (edited by Olga Pona)
Lichtdesign: Vladimir Karpov
Kostüme: Tamara Kilmetova
Bühne: Igor Prokopiev
Dauer: 60 Minuten ohne Pause
Premiere: 24. November 2014 im Chelyabinsk Drama Theater, Ural, Russland
Das Leben besteht aus Begegnungen, es ist erfüllt von ihnen, möchte man sagen. Ihre Form kann verschieden sein. Für die meisten von uns, eingepfercht in Hochhäusern und Blocks aus Beton, werden diese Begegnungen oder Zusammenstöße in Erfahrungen münden, die unser Gefangen sein untergraben. Ohne diese Zufälle -manche anregend, andere wieder enttäuschend- würden wir starr zurückbleiben in unserer gefangenen, konkreten, kleinen Welt.
„Encounters“ ist nicht narrativ und bezieht sich auf sich-begegnen und nicht-begegnen, zusammenstoßen und auch wieder nicht. Es beschreibt das Einsamsein in großen Menschenmengen und dann wieder Zuwendung Einzelner, die man zufällig trifft.
Die Wirklichkeit des Lebens, vieler Leben, schreibt keine geradlinige Geschichte und die Choreographin hat auch nicht versucht, eine daraus zu machen. Die Tänzer sind es, die mit ihren Körpern ihre Geschichte erzählen und ausmalen.
Diese entstehenden Bilder eröffnen eine beinahe mathematische Schönheit, die Fragen aufwirft, viele Fragen, und sowohl Tänzer als auch die Zuschauer auf eine Reise schickt auf der Suche nach Antworten, Ihren eigenen und individuellen Antworten.
Von Anfang an waren Olga Ponas Inspiration die sie umgebenden Menschen und deren Leben in ihrer russischen Heimat. Das Leben in einer Gesellschaft, deren verloren gegangene Werte und Ideale das Leben prägt einerseits und andererseits die Ihren Zusammenhalt daraus zieht, in wieweit sich Menschen aufeinander beziehen und sich verantwortlich füreinander fühlen.
Vita
In der Kleinstadt Novotriosk im Südural nahe der Grenze zu Kasachstan existierte keine Kunst außer dem gewöhnlichen Ausdruck kommunistischer Ästhetik. Die Sommer verbrachte Olga im Pionierlager, der kommunistischen Einrichtung für Jugendliche in Freizeit. Ihre Mutter war die Direktorin dieses Lagers, eine Lehrerin, überzeugte Kommunistin mit starkem Interesse für Theater, das sich auf die Tochter übertrug. Ansonsten fand der Kontakt zur Kunst lediglich über gekaufte Kinomagazine statt. Waren einmal Tourneetheater in der Stadt, trafen sich die Künstler im Haus von Olgas Familie und diskutierten über Kunst und die Welt. Es war wohl diese Athmosphäre, die Olga unbewußt beeinflußte.
Nach Ihrem exzellenten Abschluß am Gymnasium war ein Studium folgerichtig. Olga ging nach Chelyabinsk, -Moskow war zu weit weg und zu teuer- nicht besonders überzeugt, eher eine Freundin folgend, an die Technische Universität und absolvierte ein Ingenieursstudium im Traktorenbau. Dort hatte sie zum ersten Mal Kontakt zum Tanz. Volkstanz und klassisches Ballett. Sie war überwältigt von den körperlichen Fähigkeiten der Tänzer und probierte sich selber daran aus. Sie erwies sich als talentiert und gegen alle Regeln im sozialistischen System setzte Sie nach ihrem Abschluß des Ingeneurstudiums ein weiteres Studium -im Tanz- an dem Kulturinstitut Chelyabinsk durch. Es war nicht sehr umfasssend, eher geprägt von Folklore und klassischem Ballett gefolgt von der Theorie der sozialistischen Ästhetik.
In dieser Zeit gab es nicht sehr viel zeitgenössischen Tanz in Russland. Einige wenige Persönlichkeiten aus Moskau und St. Petersburg waren im Westen und brachten Einflüsse von dort mit. Diese gelangten jedoch nicht bis in den Ural. Die erste Arbeit der Company, die 1992 gegründet wurde von Olga und Ihrem damaligen Mann Vladimir beschränkten sich auf unterhaltende Kurzprogramme, schon die Richtung des zeitgenössischen russischen Tanzes streifend.
Olgas erstes Werk als Gastkünstler am EDDC (Europeen Dance Development Center) in Arnhem/Netherlands war „Do I have you or don't I“ erhielt die „Golden Mask“, die nationale russische Theaterauszeichnung und nachdem Bertam Müller dieses Werk während des Festivals in Volgograd gesehen hatte, lud er es ein ins Tanzhaus NRW nach Düsseldorf. Seit dieser Zeit ist dieses Stück in vielen Ländern der Welt zu sehen gewesen unterstützt durch das Ministerium für Kultur in Russland. 2004 wurde „Staring into Eternity“ im Rencontres Chorégraphique Internationales De Seine-Saint-Denis, Bagnolet/Frankreich uraufgeführt gefolgt von der Produktion „The Other Side of the River“ für das Théâtre de la Ville in Paris.
Für Olga Pona und ihre Tänzer ist das Entwickeln und Aufführen ihrer Werke nicht nur eine künstlerische Notwendigkeit sondern ein Weg, vielleicht der einzige, die Stärke zu finden, als Künstler in der heutigen russischen Realität zu bestehen und aus dieser die notwendige Inspiration zu beziehen.
Es ist ein großartiges Geschenk, ihre Werke im „Westen“ zu zeigen und gleichzeitig ist es nicht einfach. Sie messen sich an einer starken westlichen Geschichte des zeitgenössischen Tanzes und der damit einhergehenden Erwartung, was „neu“ ist und was nicht. Die Identität mit Olgas Arbeiten ist in Abhängigkeit zu der russischen Geschichte des zeitgenössischen Tanzes zu suchen. Es gibt diese starke westliche Geschichte dort nicht. Lange geografisch isoliert fanden tänzerisch westliche Elemente Einfluss, nicht aber das Verwenden ihrer Regeln. Olgas Arbeiten sind russischer zeitgenössischer Tanz, deren Ursprung das Leben in der russischen Gesellschaft ist, die nicht mehr russisch ist im traditionell russischen und im westlichen Sinne. Olgas Arbeiten bewegen sich in diesem undefinierten Raum und finden ihren Halt in einer eigenen zeigenössischen russischen Identität.
Das Privileg der momentanen Situation ist, dass die Chelyabinsk Contemporary Dance Theater Olga Pona eine feste Institution ist und Olga so die Möglichkeit hatte, lange mit ihren Tänzern zu arbeiten. Das gab ihr die Möglichkeit, einen eigenen „Ausdruck“ zu entwickeln, spezifische Bewegungen eingebettet in Olgas eigener choreographischen Sprache. Zudem macht diese Situation es ihr möglich, eine große Spannweite ihres Repertoires lebendig zu halten und ständig verfügbar. Chelyabinsk hat sich in der Zwischenzeit zu einem eigenen Zentrum für zeitgenössischen Tanz in Russland entwickelt, nicht zuletzt auch durch eigene Choreographien Ihrer Tänzer.
Company
Die Chelyabinsk Contemporary Dance Theater Olga Pona wurde 1992 gegründet. Sie wird unterstützt durch die Stadt Chelyabinsk und besteht zur Zeit aus 15 Tänzern. Einige von Ihnen sind schon 10 Jahre Teil der Company. CCDT führt Werke von Olga Pona (künstlerische Leiterin) und Vladimir Pona auf. Chelyabinsk ist eine große Industriestadt mit einer halben Million Einwohner, genau an der Grenze zwischen Asien und Europa auf der asiatischen Seite des Ural Gebirges.
In den Anfängen von Olgas Company basierte ihr Wissen auf einigen, wenigen Videos westlicher Choreographien und auf Studien und Trainings in Moskau und Novosibirsk. Aus dieser relativ unbeeinflussten Grundlage entwickelte Olga ihren eigenen Stil, ihre eigenes tänzerisches Vokabular, das erkennbar Einflüsse des Westens zeigt sich aber unvergleichbar macht durch seine einzigartige und persönliche Handschrift.
Die Themen zu Ihren Stücken findet Olga in Ihrem direkten Umfeld: Die Charaktere ihrer Arbeiten sind Menschen im Grenzland zu Kasachstan, wo sie aufwuchs. Olga erzählt ihre Geschichten, ihre Beziehungen mit der Vergangenheit und der Gegenwart, Ihren Hoffnungen und Erwartungen. Dies tut sie nicht narrativ sondern eher abstrakt und Raum für Phantasie lassend. Zudem sieht Olga ihre Arbeiten verbunden mit großartiger russischer Literatur: Sie kann als ein einfacher Erzählstrang verstanden werden, aber es gibt so viele abstrakte und philosophische Zwischentöne, welche Einfluss nehmen auf ihre zeitgenössische Kunst.